Die „Geschichte der O“ (1954) von Pauline Réage ist ein Meilenstein der erotischen Literatur und thematisiert radikale Unterwerfung, Macht und Identitätsverlust im Kontext von BDSM. Die Protagonistin O wird von ihrem Geliebten in eine Welt der Demütigung und sexuellen Auslieferung eingeführt. Das Werk löste Kontroversen aus: Feministische Kritikerinnen sehen darin die Reproduktion patriarchaler Fantasien, andere deuten Os Hingabe als Akt weiblicher Selbstermächtigung. Die literarische Nähe zu de Sade, die psychologische Tiefe und die problematische Darstellung von Konsens prägen die Debatte. Das Buch beeinflusst bis heute BDSM-Kultur und Genderdiskurse.
Die Handlung: BDSM, Unterwerfung und Machtspiele
O ist eine erfolgreiche und durchaus attraktive Modefotografin aus Paris. Sie ist schwer in ihren Partner René verliebt, welcher sie in die für sie bis dahin verborgene
Welt des BDSM einführt. Als eine Art Liebesbeweis begleitet sie ihn auf einen Spaziergang in ein Waldstück, von wo aus er sie in das Schloss von Roissy bringt und dort abgibt. Bei diesem handelt es sich um ein Privatanwesen am Rande von Paris, in dem sich Frauen für ihre Herren zu idealen submissiven Sklavinnen ausbilden lassen.
Schrittweise muss O dort ihre Identität und ihren eigenen Willen aufgeben. Mithilfe von täglichen Schlag- und
Fesselspielen sowie präzisen BDSM-Ritualen werden ihr Unterwürfigkeit und Loyalität vermittelt. Die Prüfungen und das Leiden sollen ihre Grenzen ausweiten, aber auch ihre Treue zu René unter Beweis stellen. So muss sie sich in etwa von mehreren Personen gleichzeitig
demütigen und sexuell benutzen lassen. Und während O zunächst mit der Abgabe ihrer Autonomie zu kämpfen hat, findet sie die ständige Unterwerfung schon bald befreiend.
Gut ausgebildet, kehrt sie zurück nach Paris, um ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Als René sie jedoch seinem strengeren Halbbruder Sir Stephen überlässt, verliebt sich O in dessen
autoritäre Ausstrahlung. Er bringt sie zur weiteren Ausbildung in ein nur von Frauen bewohntes und von Anne-Marie geleitetes Anwesen namens Samois, wo O sich als ultimativen Beweis ihrer Ergebenheit Brandings über dem Gesäß und Piercings an ihren Schamlippen für ihn machen lässt. Sie zeigt somit, dass sie sich als Sir Stephens
Eigentum versteht. Os Zuneigung ihm gegenüber nutzt er, um vermehrt ihre Zustimmung für sadistisch-sexuelle Handlungen zu erhalten.
Als René sich für Os Fotomodell Jacqueline interessiert, beginnt O auf seinen Befehl hin eine sexuelle Beziehung mit ihr, um Jacqueline ebenfalls für Roissy verfügbar zu machen. Dieser Aspekt der Erzählung wird vorrangig im letzten Drittel der Erzählung thematisiert, in dem es unter anderem um einen längeren Urlaub von René, O, Jacqueline, ihrer Schwester Nathalie und Sir Stephen in Südfrankreich geht.
Besonders bekannt ist in diesem Zusammenhang auch der Abend, an dem O als Käuzchen auftritt. Dabei stellt sie Sir Stephen anderen Gästen im Zuge einer
Vorführung auf der Veranstaltung zur Verfügung, bevor er sie zurück nach Roissy bringt und dort verlässt. (Oder wo sie sich, in einem alternativ sehr kurz angerissenen Ende den Tod wünscht und man ihrem Wunsch nachkommt, nachdem er sie verlassen hat.)
Skandale und Tabus im Zusammenhang mit der Geschichte der O – die explizite BDSM-Darstellung als Knackpunkt
Die Story beschreibt die Benutzung von O haarklein, nennt also alle Details ohne Umschweife. O wird sexuell benutzt,
erniedrigt und gefoltert, was vielen Menschen auch in der heute toleranten und sexuell aufgeklärten Gesellschaft noch durch Mark und Bein geht. In den 1950er Jahren hatten derlei Praktiken, auch wenn sie fiktiv waren, noch eine vollkommen andere Sprengkraft. Dies beflügelte allerdings auch die Popularität des Werkes und machte es zum Vorbild eines ganzen Genres, des
BDSM Porn, nicht zuletzt dank der zahlreichen Verfilmungen.
Aber nicht nur die sexuelle Seite der Geschichte sorgte für Aufruhr. Für die meisten Menschen war (und ist) es unvorstellbar, die Kontrolle über den eigenen Körper und Willen in diesem Maße an jemand anderen abzugeben. Diese extreme Selbstauslieferung, welche eigentlich ein ganzer Lebensstil ist, bezeichnet man in der BDSM-Welt als
Metakonsens.
Dabei gibt der Sub seinem Dom die Einwilligung dazu, dass dieser auch ohne vorherige Absprache immer und überall sexuelle Handlungen an ihm durchführen darf. Dabei darf es auch zur Überschreitung der Grenzen des Subs kommen. Und anders als bei anderen Spielarten, unter anderem dem ähnlichen
CNC, muss der Sub die Einwilligung nicht vor jeder Play-Session geben. Sie gilt vielmehr grundsätzlich.
Rezeption und Bedeutung der Geschichte in BDSM- und Fetischkultur
Viele Einzelheiten aus der Originalgeschichte sind so brutal, dass sie sich nicht mit Recht und Gesetz vereinbaren lassen – weder in Deutschland noch im Ursprungsland Frankreich noch in anderen Rechtsstaaten. In abgeschwächter Form hingegen gilt die Geschichte der O als ein Grundmotiv für BDSM-Sessions. Viele Details werden gerne aufgegriffen, hier nur einige Beispiele.
- Ring der O: O trägt einen größeren Ring, an den ein kleiner angearbeitet ist. Ein solcher Ring gilt in der Szene als Zeichen für eine devote und/oder masochistische Veranlagung und wird sowohl von Männern als auch von Frauen getragen.
- Kleid der O: Das Kleid der Protagonistin wird in der Geschichte genauestens beschrieben. Es ist schwarz, lang und ist an der Vorderseite mittig bis nach oben geschlitzt. Die Trägerin kann dadurch jederzeit penetriert oder ausgepeitscht werden.
- Das Schloss von Roissy: Das Schloss, in dem weite Teile der Geschichte spielen, liefert eine geradezu perfekte Kulisse. Heute gelten Schlösser und andere historische Gemäuer für BDSM-Spiele daher als geradezu prädestiniert.
Und nicht zuletzt lassen sich in der
Geschichte der O klassische
CMNF-Szenarien (clothed man, naked female) erkennen: Bekleidete Männer stehen nackt auftretenden Frauen gegenüber, was das Machtgefälle und die erotische Spannung verstärkt. Solche Motive prägen bis heute viele BDSM-Sessions und finden sich auch in modernen Fetisch-Settings wieder.
BDSM-Fans und Events: Wie die Geschichte der O heute gelebt wird
Für viele BDSM-Fans gehört es zu den Traumbildern, die Geschichte permanent im Sinne von
24/7 leben zu können. Dies lässt sich aber normalerweise nicht mit dem Alltag vereinen. Außerdem verlöre sie dann den Reiz des Besonderen. Umso mehr leben sich viele Menschen in den passenden Momenten aus. Es finden beispielsweise immer mehr
Schlosspartys unter diesem Motto statt, die in allen Regionen regen Zulauf haben.
Im professionellen Bereich hat die Geschichte natürlich ebenfalls einen sehr hohen Stellenwert. In zahlreichen S/M-Studios nennen die ‚Histoire d’O‘ klar zu ihrem Angebot. Und natürlich gibt es neben den bekannten Filmen auch unzählige Amateurbilder und Clips. Viele
Sexcams streamen zudem ihre eigene Interpretation der Geschichte live.
Ein sicherer Umgang mit der Erzählung – Fiktion vs. Realität
Es handelt sich um eine fiktive
BDSM-Geschichte. Würde man sie 1:1 nachspielen, käme dies einer gefährlichen Körperverletzung gleich, die lebensgefährliche Folgen haben kann.
Daher muss man sie stets so betrachten wie andere literarische Werke: Sie kann als Inspiration und Anregung dienen, um das eigene Liebesleben weiter aufzufächern und sich vielleicht auch von neuen Seiten selbst zu entdecken. Dennoch dürfen Fiktion und Realität wie schon angesprochen nicht 1:1 in einem Topf landen.
Und somit liegt klar auf der Hand, dass man die Geschichte der O nicht ohne vorherige Einvernehmlichkeit aller zukünftigen Beteiligten nachspielen kann und alle wissen müssen, was sie tun.