Heilige oder Hure? Die Darstellung von Frauen in Pornos (seien es Sexfilme oder auch Sexgeschichten) ist gleichermaßen vielschichtig wie kontrovers. Wobei das kein neuer Schuh ist, weil diese dichotome Figur seit Jahrhunderten tief in kulturellen, religiösen und speziell patriarchalen Strukturen verankert ist. In der Folge tragen pornografische Darstellungen oft nicht nur zur Reproduktion, sondern oft auch zur Verstärkung dieser Ambivalenz bei. Und zwar überwiegend durch eine männliche Perspektive. Aber tut sich da nicht inzwischen auch so einiges?
Die Wurzeln der Dichotomie: die Heilige, die Hure und ihre kulturellen Hintergründe
Sowohl die Heilige als auch die Hure und ihre Verflechtungen bis zur Porno-Ambivalenz haben speziell in der christlich-westlichen Welt eine lange Geschichte. Nehmen wir etwa
- die Jungfrau Maria als die reine, moralisch einwandfreie und mütterliche Frau
- oder Eva, die verführerisch, sündhaft und somit quasi die Mutter allen weiblich-erotischen Übels ist. (Von Lilith noch gar nicht gesprochen, denn die musste schließlich schon vorher gehen.)
Man sieht also, dass es schon lange eine gewisse Polarität gab, die man(n) in der Geschichte immer wieder dazu nutzte, die weibliche Sexualität zu kontrollieren und in enge moralische Laster zu pressen. Interessant wird das Ganze dann besonders bei schon zu Lebzeiten kontrovers diskutierten Frauen wie Jeanne d’Arc und ihrer Rezeption in der Politik, aber auch in der Literatur. Stichwort Schillers
Die Jungfrau von Orleans. Oder auch rein literarischen Figuren wie Justine, die in de Sades Werk
Justine oder Vom Missgeschick der Tugend die tugendhafte, aber gequälte Protagonistin gibt.
Und das sind natürlich nur zwei Beispiele, die eigentlich eine umfangreichere Besprechung verdient hätten, weil sie wunderbar zeigen, was speziell Männer zu welcher Zeit gedacht und was sie daraus gemacht haben. Leider würde das an dieser Stelle eindeutig den Rahmen sprengen.
Eins lässt sich trotzdem sagen: Die Dichotomie „Heilige oder Hure“ ist definitiv nicht aus der Mode gekommen, sondern findet (auch) in der modernen Fotografie ihre Fortsetzung.
- Denn auch hier ist die Frau gern eine willfährige, hemmungslose Sexarbeiterin, die sich scheinbar jeder männlichen Fantasie unterordnet.
- Alternativ ist ist die personifizierte Unschuld, etwa in Form einer wissbegieriger und probierfreudiger Studentin, die ein männlicher Akteur in die verdorbene Person schlechthin verwandelt.
Unabhängig von der konkreten Spielweise liegt beiden Motiven jedoch ein zentraler Gedanke zugrunde: Der weibliche Körper ist und bleibt eine Projektionsfläche der männlichen Begierden und soll entweder frei verfügbar oder zumindest kontrollierbar sein.
Männlicher Blick = männliche Macht?
Ein zentrales Konzept, das diese Darstellungsweise erklärt, ist der "male gaze". Dabei handelt es sich um einen Begriff, den die britische Filmwissenschaftlerin Laura Mulvey in den 1970er-Jahren über ihren Artikel
Visual Pleasure and Narrative Cinema(1975) geprägt hat. Dieser „male ganze“ beschreibt die Tendenz von Medien, Frauen aus einer tendenziell männlichen Perspektive zu zeigen, wobei Mulvey in ihrer Untersuchung vor allem Filme und visuelles Material unter die Lupe genommen hat. Dennoch lassen sich durchaus Ähnlichkeiten zur gefilmten Pornografie finden, denn:
Auch im Sexvideo ist der männliche Blick auf den weiblichen Körper dominant. Man sieht die Frau aus einer Perspektive, die Lust für den tendenziell männlich (heterosexuellen) Zuschauer generieren soll.
Will heißen: Man hat es tendenziell mit einer starken visuellen Kodierung und entsprechenden Zentrierung auf die Genitalien zu tun. In der Konsequenz könnte man also auf die Idee kommen, dass die Lust und Erregung der Frau wesentlich von der Penetration durch den Mann abhängt und mehr oder weniger nur auf diese reagiert.
Der Knackpunkt dabei: Das Ganze zieht sowohl ästhetische als auch soziale Konsequenzen nach sich. Denn wenn die weibliche Lust und Sexualität eine Reaktion auf die der Männer ist -dann sieht es ja nicht so aus, als seien Frauen zu einem besonders aktiven, selbstbestimmten Handeln in der Lage. Oder zumindest willens, sich beim Sex zu holen,
was sie wollen. Mit anderen Worten: In vielen Pornos sieht es so aus, als wären Frauen eher passiv und reaktiv. Keine handelnden Subjekte, sondern Objekte, die der Befriedigung der männlichen Lust dienstbar sind. Bezüglich der Kombi Heilige oder Hure bedeutet das: Die Heilige wird entweiht, die Hure bleibt verfügbar. Beide sind und bleiben aber Seiten derselben Medaille.
Inwiefern ist diese Porno-Ambivalenz damit ein Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse?
und diversen weiteren Faktoren reflektieren und verstärken. Hat man es mit einer patriarchalen Gesellschaft zu tun, liegt es fast auf der Hand, dass das Motiv der Frau als Heilige oder Hure nicht nur
erotisch-kreativer Natur ist. Vielmehr handelt es sich auch um einen Ausdruck eines tieferliegenden Machtungleichgewichts.
Wichtig dabei zu bedenken: Ob eine Frau in die Kategorie „heilig“ oder „hurenhaft“ fällt, entscheidet meistens nicht sie selbst allein. Oder wenn doch, häufig auf der Basis eines Diskurses, der lange Zeit vorwiegend von Männern geprägt und tradiert wurde. Sowohl in der Religion als auch in der Popkultur oder eben auch in der
Pornografie. Und die Crux an der Sache: Viele Frauen und andere Männer springen dabei mit auf, sodass es immer noch zu einer gewissen Einschränkung der Darstellungsvielfalt kommt. Wobei man sich auch leider etwas um die Möglichkeit bringt, die weibliche Sexualität als etwas Eigenständiges und Vielschichtiges wahrzunehmen.
Also, Reproduktion oder Befreiung von Klischees?
Indes: Man tut der Pornografie sicherlich unrecht damit, wenn man sie pauschal als frauenfeindlich bewerten würde. Was nicht zuletzt an den Gegenströmungen der letzten Jahre liegt, in die etwa
- die feministische Pornografie wie die von Bellesa,
- queer-feministische Produktionen
- oder Amateur Pornos mit Anspruch an mehr Authentizität und weniger traditionelle Rollenbilder
fallen. Die Idee hinter dieser Art von Produktionen? Eine Verschiebung des Blickwinkels. Weg von der Frage, ob eine Frau eine „Heilige“ oder eine „Hure“ ist. Und hin zu der Perspektive, dass es sich auch bei den Ladys um vielschichtige sexuelle Personen mit einem Hang zur Lust, zur Initiative und zur Aktivität handelt. Die mehr drauf- und drunterhaben als die besagte Porno-Ambivalenz.
Inwiefern sich diese Perspektive schnell in noch größerem Ausmaß niederschlagen wird? Das bleibt abzuwarten, zumal der Mainstream wohl bis auf Weiteres eher männlich dominiert und geprägt werden dürfte. Und doch, es könnte sich schon einiges tun. Nämlich dadurch, dass gerade auch Frauen sich ihrer Macht als Konsumentinnen von Pornos,
Sexgeschichten und als Darstellerinnen in Sexfilmen bewusst werden und diese von sich aus aktiver als bisher nutzen und ihren Einfluss stärker geltend machen.
Man denke etwa an die Geschichte davon, wie die Pariser Prostituierten der Stadt im Mittelalter
ein Kirchenfenster für Notre-Dame stiften wollten … und dann wird das mit der Heiligen und der Hure ganz schnell relativ.