Die Erotik ist ein gewaltiges Spielfeld, das weit über die Reiter- und Missionarsstellung hinausgeht. In Teilen ist sie natürlich auch dem Zeitgeist unterworfen. So lässt sich auch das verstärkte Interesse am BDSM erklären. Doch wenngleich die Zahl der bekennenden BDSMler*innen prozentual deutlich ansteigt, sind sie in der Gesamtbevölkerung nach wie vor eine Minderheit. Deshalb ist es eher die Regel als ein Ausnahmefall, dass Paare sich im Hinblick auf BDSM uneins sind. Was also tun, wenn sich nicht beide gleichermaßen für die ‚dunkle Seite‘ der Erotik begeistern?
Wie viel BDSM ist eigentlich normal?
In der Sexualforschung ist man längst von derlei Bewertungen abgekommen. Zwar gibt es immer einen gewissen Mainstream, auf den sich die Mehrheit der Menschen einigen kann. Darüber hinaus wird aber nichts als unnormal oder gar pervers deklariert, was nicht mit geltendem Recht und Gesetz kollidiert. Das gilt eindeutig auch für Tendenzen in Richtung
BDSM. Es ist davon auszugehen, dass entsprechende Neigungen bei einigen Menschen bereits genetisch angelegt sind. Auch bei dieser Gruppe (wie bei all jenen, die keine derartige Vorprägung erkennen lassen) braucht es aber häufig eine Art Erweckungserlebnis, um erstmals mit dem Thema BDSM in Kontakt zu kommen. Dabei kann es sich natürlich um eigene sexuelle Erfahrungen handeln, aber meistens spielen andere Wege eine Rolle:
- (oftmals subtile) Szenen in Film oder Videoclip
- Werbung für Filme oder Literatur (z.B. 50 Shades of Grey)
- das Angebot in Erotikshops
- der Chat in einer Dating-Community oder
- der zufällige Klick auf einen BDSM-Porno.
Leider sind die Inhalte auch hier schneller als die objektive Aufklärung. Daher brodelt es weiterhin kräftig in der
Gerüchteküche – die natürlich immer wieder mit frischen Zutaten versorgt wird. Doch die vorurteilsfreie Information ist natürlich nur die halbe Miete, wenn die eigenen Gelüste nicht mit jenen der*des Partner*in einhergehen.
Aus Vanille kann man keine Reitgerte herstellen
Zwar gibt es keine brandaktuellen Zahlen, doch eine Umfrage von 2017 dürfte auch die aktuelle Situation weitgehend widerspiegeln. Demnach
- haben 27 % der Befragten Spaß an BDSM, während
- 19 % Erfahrungen gemacht haben, ohne Gefallen daran zu finden.
- 54 % hatten zuvor keine entsprechenden Erfahrungen gemacht, könnten es sich aber prinzipiell vorstellen.
Die Gruppe der S/Mler*innen besteht also aus 27 % plus X. Statistisch gesehen ist es also keine ausgemachte Sache, dass bei Paaren immer beide Seiten gleichermaßen auf BDSM stehen. Wahrscheinlicher ist es, dass nur ein Part derartige Erfahrungen mitbringt – oder BDSM für beide Seiten bislang unbekanntes Terrain darstellt.
Das man sich im Laufe des Lebens weiterentwickelt, ist ebenfalls vollkommen normal. Doch eine Partnerschaft wird von zwei eigenständigen Menschen geführt, die oftmals eigene Arbeitsumfelder, Freundeskreise und Interessen haben. Wenn plötzlich ein Part Interesse an BDSM entwickelt, wurzelt das also nicht unbedingt in den gemeinsamen Stunden. Meistens ist die nun erfolgte Initialzündung nicht einmal erotischer Natur (wie eingehend bereits angesprochen).
Allerdings stellt das neu entdeckte Interesse die Beziehung womöglich auf die Probe, sofern man zu sich selbst und dem Gegenüber ehrlich sein möchte. Tatsächlich ist Offenheit am besten – und in vielen Fällen lässt sich auch die*der andere auf neue Facetten der Erotik ein. Doch manchmal scheinen die Fronten regelrecht verhärtet:
- Ein Part will mit S/M generell nichts zu tun haben und lässt sich auch auf kein Gespräch ein.
- Die*der andere hat ebenfalls neue, aber andere Neigungen entdeckt.
- Jemand hat in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit BDSM gemacht und hat daher kein Interesse mehr daran.
Was tun?
Zunächst einmal ist es immer gut, das Interesse beziehungsweise die neu entdeckte Leidenschaft innerhalb der Beziehung offen anzusprechen. Denn wer das nicht tut, muss entweder einen Teil der eigenen Sexualität permanent unterdrücken oder sich hinter dem Rücken der*des Partner*in entsprechend ausleben. In einer so stabilen wie harmonischen Beziehung wird man auch für diese neue Herausforderung eine Lösung finden.
Option 1: Der Spielarten-Kompromiss. Auch wenn der andere Part die Leidenschaft nicht 1:1 teilt, kommt er einem vielleicht ein Stück weit entgegen. Immerhin handelt es sich beim Fetisch- und BDSM-Bereich ja um extrem weite Felder.
Option 2: Die offene Beziehung. Natürlich ist es ein Zeichen von Größe, der Partnerin beziehungsweise dem Partner das Ausleben der BDSM-Fantasien zu ermöglichen, ohne selbst involviert zu sein. Mit gegenseitigem Vertrauen ist es aber ein denkbarer Weg.
Option 3: Die Trennung. Dieser Schritt ist natürlich radikal und will wohlüberlegt sein. Doch wenn sich keine andere Möglichkeit bietet, BDSM für einen Part aber bereits unverzichtbar geworden ist, sollte man ihn dennoch erwägen. Denn er ist immer noch besser, als wenn sich die Zweisamkeit permanent wie ein fauler Kompromiss anfühlt.
Wer Single und auf Partnersuche ist, sollte auch in punkto Sexualität so offen wie möglich sein. Niemand muss sich für BDSM-Neigungen schämen und möglicherweise ergeben sich daraus sogar gute Flirtansätze. Andererseits werden sich all jene, die mit BDSM nichts anfangen können, bereits im Vorfeld selbst aussortieren. Und bei einem vielversprechenden Flirt kann man von Beginn an alle Karten auf den Tisch legen. Das ist eine hervorragende Basis für eine neue Beziehung.
BDSM muss nicht jedem schmecken
Das Spiel um Macht und Unterwerfung gehört zum Kern des BDSM. Doch ganz gleich, ob man sich selbst in der dominanten oder der devoten Rolle wiederfindet: Es ist ein No-Go, den anderen Part für die Durchsetzung der eigenen Wünsche unter Druck zu setzen. Wie bereits angesprochen, kann man BDSM nicht mit der Brechstange in jede Beziehung integrieren. Aber das muss auch nicht sein, denn zuweilen lässt sich auch eine anderweitig gute Lösung finden.
Übrigens: Genau wie nicht jede Liebesbeziehung eine BDSM-Komponente bekommen kann, muss auch nicht jede
BDSM-Verbindung auch eine Liebesbeziehung sein.
Es gilt also stets, eine einvernehmliche Lösung zu finden, die von allen mitgetragen wird und ggf. auch die Bedürfnisse und Ansprüche potenzieller Dritter einbezieht. Denn jede Form der Beziehung kann nur funktionieren, wenn alle direkt oder indirekt Beteiligten einvernehmlich und legal miteinander umgehen. Toleranz ist also gerade hier weit mehr als nur ein Wort.