Der Hintern zwischen Schimpfwort, Sexsymbol & Sprachkult: Die Verwendung des Begriffs Hintern oder Arsch kann sowohl Ausdruck derbster Ablehnung als auch kernigster Begeisterung sein. Wie kommt dieser Sprachspagat zustande? Und gab es ihn eigentlich schon immer?
„Das geht mir am Arsch vorbei“
Welche Redewendungen und Beleidigungen thematisieren den Hintern?
atsächlich ist die Liste erstaunlich lang – kein Wunder, denn das Körperteil, auf dem wir sitzen, ist sprachlich äußerst vielseitig. Schon nach wenigen Minuten Brainstorming sind uns diese Beispiele eingefalle. Und es gibt sicherlich noch wesentlich mehr als die folgenden Neun:
am Arsch der Welt leben |
sich den Arsch aufreißen |
jemandem in den Arsch kriechen |
jemandem den Arsch retten |
den Arsch offen haben |
die Arschkarte ziehen |
einem geht der Arsch auf Grundeis |
Arschloch |
Arschgeige |
Was auffällt: Viele dieser Redewendungen haben eine negative oder drastische Konnotation. Der Hintern steht häufig für Ärger, Angst, Überforderung oder Erniedrigung. Doch es gibt auch positive Ausnahmen: Wenn etwas „arschgeil“ ist, handelt es sich um ein besonders begeisterndes Erlebnis – wenn auch mit einem derben Unterton.
Diese sprachliche Fixierung auf das Hinterteil wirft Fragen auf:
- War der „Arsch“ schon immer so präsent in unserer Alltagssprache?
- Und warum wird ausgerechnet dieses Körperteil so oft für drastische, drastisch-lustige oder beleidigende Formulierungen herangezogen?
Ein Blick in die Sprachgeschichte gibt spannende Antworten – und zeigt, wie sich der Hintern als sprachliches Symbol über die Jahrhunderte gewandelt hat.
Erst war der Arsch normal, doch irgendwann war er verpönt …
Na, da hat aber einer Hummeln im Arsch“ – für Martin Luther war das laut des Sprachexperten
Rolf-Bernhard Essig keineswegs eine problematische Aussage. Im Gegenteil: Der Ausdruck habe eher für emsige Betriebsamkeit gestanden – neutral bis positiv konnotiert.
Und auch andere bekannte Persönlichkeiten wie Goethe und Schiller hätten den Hintern im 18. Jahrhundert noch keinesfalls als Schimpfwort verstanden. Ganz im Gegenteil: Der „Arsch“ wäre salonfähig und sprichwörtlich in aller Munde gewesen.
Das änderte sich jedoch im Laufe des 19. Jahrhunderts. Mit dem Einfluss des Bürgertums, das sich in Sprache und Etikette zunehmend dem Adel annäherte, habe man das Wort „Arsch“ nach und nach als vulgär empfunden. An seine Stelle traten Begriffe wie „Podex“, „Popo“ oder schlicht „Hintern“
Anal orentiert: die besondere Schimpfkultur der Deutschen
Doch ganz verschwunden ist der Arsch nie. Bis heute ist er Bestandteil zahlreicher Redewendungen geblieben – ein Hinweis darauf, dass die deutsche Schimpfkultur im Vergleich zu anderen europäischen Sprachen eher anal als sexuell geprägt ist.
Was dem Engländer sein „Son of a bitch“ ist, ist dem Deutschen die „Arschgeburt“.Woher diese sprachliche Vorliebe für
Analsex und verwandte Themen kommt, bleibt unklar. Fest steht jedoch: Sigmund Freuds Theorie zur
Analerotik (also der Verbindung von Sauberkeitserziehung und Charakterentwicklung – gilt in der modernen Psychoanalyse als überholt.
Der Arsch als sprachliche Allzweckwaffe
Trotzdem ist der „Arsch“ aus sprachlicher Sicht ein clever gewähltes Schimpfwort. Laut dem Neurolinguisten Horst M. Müller ist er gleichzeitig kraftvoll-dramatisch und dabei weder sexistisch, noch rassistisch oder frauenfeindlich (mysogyn).
Diese Doppelfunktion ist sprachlich einzigartig: Kaum ein anderes Körperteil wird sowohl mit Fäkalien als auch mit sexueller Attraktivität in Verbindung gebracht.
Venus etwa lässt von den antiken Römern grüßen. Und noch heute steht der (Frauen-) Hintern im Mittelpunkt so mancher (Neid-)Debatte, bei der so richtig die Hosen heruntergelassen werden …
Warum ist gerade der weibliche Po dabei der Knackpunkt?
Ob
- Marilyn Monroe
- Jennifer Lopez,
- Salma Hayek,
- Shakira,
- Kim Kardashian oder
- Nicky Minai –
die Liste berühmter Frauen, die für ihren knackigen Po bewundert werden, ist lang. Fast ebenso lang wie die Liste abwertender Redewendungen, die sich um das Thema Hintern drehen.
Gerade Kim Kardashian muss sich immer wieder Kommentare anhören, die deutlich unter die Gürtellinie zielen – und dabei oft als klar misogyn zu bewerten sind. Wie kommt es also, dass auf der einen Seite das
Ass Worship als Akt der Körperanbetung gefeiert wird, während auf der anderen Begriffe wie
„Arschgeweih“ zur abwertenden Stigmatisierung beitragen?
Der Knackarsch ist in der öffentlichen Wahrnehmung meist eindeutig weiblich konnotiert. Wenn vom „schönen Hintern“ die Rede ist – und das Geschlecht der Person nicht explizit genannt wird –, denken die meisten reflexhaft an eine Frau. Warum?
Viele Forschende sehen die Ursache in der evolutionären Psychologie: Demnach analysieren Männer – meist unbewusst – auch das weibliche Gesäß, um Rückschlüsse auf Fruchtbarkeit zu ziehen. Große,
pralle Rundungen gelten als Hinweis auf gesunde Nachkommen. Klingt positiv – ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Denn viele Frauen sehen sich stattdessen mit
einer kulturellen Sexualisierung und Objektifizierung |
einer kontraproduktiven medialen Darstellung von Schönheitsidealen |
einer verinnerlichten Misogynie (sowohl in der Fremd- als auch in der Selbstwahrnehmung) |
einem ungesunden vergleichsdenken in Bezug auf den eigenen Körper |
einer Kontrolle inklusive Anpassungsdrucks durch Abwertungen |
und weiterhin bestehenden, teilweise toxischen Geschlechterrollenbildern |
Warum nicht den Blick mal verändern – und Männer dazu einladen, sich selbst zu hinterfragen? Besonders im Hinblick auf
anale Spiele bietet der männliche Körper eine anatomische Besonderheit, die häufig übersehen wird: die Prostata. Diese lässt sich
rektal stimulieren – und sorgt dabei für intensivste Empfindungen.
Was der weibliche Körper an gesellschaftlichem Druck erfährt, steht also einem Bereich gegenüber, in dem Männer ganz praktisch das Potenzial hätten, den eigenen Hintern neu zu entdecken – jenseits von Machtfantasien oder Abwertungslogiken.